Heinrich Zille – Milljöh-Zeichner aus Berlin


Heinrich Zille, der Berliner Zeichner wurde wahrscheinlich durch seine lustigen, aber oftmals trotzdem traurigen und zum Nachdenken anregenden Zeichnungen berühmt. Niemand hat das Leben der Unterschicht in den Arbeitervierteln vom Berlin der Jahrhundertwende so treffend gezeichnet wie er. „Dreiundzwanzig Fennje bekam ’ne Heimarbeiterin, und die Kinder jingen in ’ne Streichholzfabrik und hatten denn von dem Phosphor und Schwefel jar keene Fingernägel mehr. Und da soll man nich mal dazwischenfahren, wenn man erlebt hat, wie sich det Elend von Jeneration zu Jeneration weiterfrißt – wo det Kind schon als Sklave jeboren wird?!“

Heinrich Zille Bilder
Heinrich Zille Bilder
„Ick hab zu ville Bonbon jefressen!“

Aber auch als Photograph hat Zille zur Bewahrung alter Berlin-Ansichten beigetragen, die nur selten oder sogar niemals fotografiert wurden.

Heinrich Zille Photographien Berlin 1890-1910
Heinrich Zille Photographien Berlin 1890-1910
Heinrich Zille Photographien Berlin 1890-1910
Heinrich Zille Photographien Berlin 1890-1910
Heinrich Zille Hurengespräche

Sein meistdiskutiertes Werk sind aber wohl noch immer die 1921 unter Pseudonym herausgegebenen Hurengespräche. 

Zille lässt acht Prostituierte Szenen aus ihrem Leben zu hause und mit den Freiern schildern.

Heinrich Zille Hurengespräche

Die Geschichte wird eingeleitet mit dem Text: Berlin O (Ost), Nachts in einem Bouillonkeller. Olga, Pauline, Rosa, Alma, Pinselfrieda, Bollenguste, Lutschliese, Minna.

Heinrich Zille Hurengespräche
Heinrich Zille Hurengespräche
Olga: Pauline, Kutscherklara sagt dein Liebster ist dein Bruder, na weeßte – nu jeh mir eener mit den Finger aus den Mund! Wie biste denn da druff jekomm‘? Pauline: Un wenn schon! Det schad ja nischt, det wird ja wieder abjewischt! Warum soll ick mir mit nen faulen Luden rumbaljen un‘ um die Neese ferzeln lassen! Orje war mir schon als Junge jut, wir fing’n schon kleen an det Pißzeig zusamm zustecken.
Heinrich Zille Hurengespräche
Ach Jott ja, die Lehrer! Die hab’n mir immer anjeklaut, ick war aber ooch schon een strammes Balj mit Ditten un‘ dicke Beene un hatte det ooch schon mit de Banane raus. Der erste der mir vorgekneppt hat war een oller dreckijer Hausierer, der uff uns’en Korridor wohnte. Der hat sich rinjeschlichen un‘ mir uff Mutter’ns Stoßlade überjebogen. Er hat mir jeschunden un‘ volljeklirt, die olle dreckije Hottepese. Ojre hat an de Türe jehaun un‘ jebrüllt, aba nachher hatt’n sich Vater mit de Axt vorjenomm, da jab’s Stob. Vater kam uff een Jahr nach Plötze.

kleine Lesehilfe:

  • anjeklaut, klauen = nicht zu verwechseln mit der heutigen Bedeutung des Wortes „klauen“, das aber genau wie seinerzeit von der Klaue / Kralle stammt. „angeklaut“ bedeutet also so viel wie „angefasst“.
  • Balj – Balg
  • vorgekneppt – vorgeknöpft
  • uns’en – unserem
  • Stoßlade – eigentlich ein Tischlerwerkzeug, ähnlich einem Hobel, hier allerdings eher ein Sofa, auf dem offenbar Mutter von Vater „gestoßen“ wurde.
  • volljeklirt – klieren = schmieren
  • Hottepese – siehe hier Seite 37, ganz oben rechts – eine Mischung aus den Schimpfwörtern Fatzke und Ochse
  • Stob – Staub
  • Plötze
Heinrich Zille Hurengespräche
(Mein Vater) hat sitzen müssen weejen mir und weiß Gott, ich will auf der Stelle erblinden, wenn ich Schuld war. Ich war zwölf Jahr, da hat er mir schon beklaut und habe zugesehn wenn er nacht’s bäuchelte.
Heinrich Zille Hurengespräche
Wie Mutter krank wurde und se hat lange gelegen, brauchte sie ihr Bett alleene und ick mußte beim Vater schlafen, da hat er mir jleich nen verpaßt. Mutter is‘ in Urban jestorb’n, sie hat alles jewußt, aber nischt verraten. Durchs Kind ist’s raus jekomm, wie se mir in die Schariteh entbunden haben, ins‘ Milchfieber hab ick’s ausjequatscht.
Heinrich Zille Hurengespräche
Heinrich Zille Hurengespräche
Lutschliese: Abend’s, in die düstern Budickerkeller und Destill’n, wo ick die Zeitung’n brachte, kroch ick unter die Tische rum und lutschte den oll’n Kerl’s, die bei’s Kartenkloppen hockten, een ab. Die ließen sich jarnischt merken und hab’n janz eisern weiter jespielt, det Jeld hab‘ ick mir aus de Westentaschen jelangt, meine Kunden wußten det schon. Aber nu kommt det dicke Ende, warum ick tagelang so ne scheißende Angst hatte. Ick kam an eene Hosenklappe, die jing so schwer uff, – det kannt ick, – die drei jroßen weißen Perlmutterknöppe hat ick erst Sonntagsnachmittag mit schwarzet Jarn ranjenäht – det war Vater!

So fürchterlich das alles klingt, scheint es aber die damalige Situation gut aufzuzeigen. Die Berliner Mietskasernen boten oft nur ein Zimmer für die ganze Familie – also Vater, Mutter, Kinder und gelegentlich noch die Großmutter. Einhergehend mit dem niedrigen Bildungsstand und der hohen Kinderarbeitsrate entstanden dann Situationen, wie die oben geschilderten. Da dieses Thema sicher eher ungern diskutiert wurde, können wir Zille für dieses aufschlussreiche Zeitdokument dankbar sein.

Er liegt übrigens auf dem Südwestkirchhof der Berliner Stadtsynode in Stahnsdorf, südlich von Berlin begraben. Dort habe ich seinen Grabstein gefunden:

Heinrich Zille 1858 – 1924

Zum Schluß noch ein Bild aus Wikipedia:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/48/Heinrich_Zille_Lieschen_im_Jrünen.jpg
„Mutta, jib doch die zwee Blumtöppe raus, Lieschen sitzt so jerne ins Jrüne!“

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