Heute auf den Tag genau vor 108 Jahren, am 15. Dezember 1906, schrieb das Neue Wiener Journal: „Die Barfußtänzerin ist vieux jeu, die Künstlerin up to date zeigt mehr [… Ihre] Tänze seien ein Gebet … der Inder tanzt, wenn er die Götter ehrt. [Sie] selbst tritt gemessenen Schrittes ein. Eine junonische Erscheinung. Große, feurige Augen verleihen ihrem edel geschnittenen Gesicht besonderen Ausdruck. Der dunkle Teint – offenbar Erbstück von Großpapa Regent – kleidet sie prächtig, eine exotische Schönheit ersten Ranges. Ein weißes faltiges Tuch hüllt sie ein, eine rote Rose schmückt das tiefschwarze Haar. Und [sie] tanzt […] Das heißt: sie tanzt nicht. Sie verrichtet ein Gebet vor dem Götzenbild, wie ein Priester den Gottesdienst.“
Um wen ging es denn hier? Margaretha Geertruida Zelle, Marguerite Campbell und Lady Gretha MacLeod kennt heute niemand mehr und auch zu ihrer Zeit hat dieser Name wahrscheinlich kaum irgendwo ein lüsternes Blitzen in den Augen eines Mannes hervorgerufen. Anders war es, wenn ihr Künstlername fiel. Mata Hari kannte zu Zeiten des Ersten Weltkrieges jeder und auch heute weiß so mancher, wer sich hinter dieser Frau verbarg.

Angefangen hat sie als Tänzerin. Aber auf seinerzeit unübliche Art, zeigte Frau Zelle mehr Haut als ihre Tanzgenossinnen. Auf diese ebenso alte wie beliebte Weise öffnete sie sich die Türen zur Männerwelt, nicht zuletzt die Türen zu den Herzen (und Schlafzimmern) der einflußreichsten Herren der Zeit. Denn ganz ehrlich: Wer ist um 1906 nicht von so einer Grazie in Träumerei verfallen?

Wikipedia weiß zu berichten: „Das Jahr 1905 war das erfolgreichste für Mata Hari. Sie gab 35 Vorstellungen, verdiente pro Abend rund 10.000 Franc“.
Elf Jahre später hatte Mata Hari bereits einige Aufträge als Spionin angenommen, die allerdings eher weing Erfolg hatten. Wer mehr darüber wissen möchte, liest hier weiter.
Ich komme hingegen zum eigentlichen Artikel des heutigen Tages, einem über 3 kg schweren (mehr gibt meine Küchenwaage nicht her) und 688 Seiten dicken Buch mit dem Titel:
Erschienen erst 1931, versammelt es alle Informationen der damaligen Zeit zum Thema Spionage in der Zeit des Ersten Weltkrieges, die man hiermit glaubte enthüllen zu können.
Wer mag, kann sich das Inhaltsverzeichnis ansehen
Schlägt da nicht das Herz jedes Yps-Lesers höher?
Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck – der Afrika-General in den deutschen Kolonien während des Ersten Weltkrieges und euch schon aus diesem Artikel bekannt, hat das Werk zusammengetragen und erfreut uns mit einem Vorwort:
Amüsant wird es, wenn die Tricks des Spions – hier Spionin – enthüllt werden:
Der Trick der dänischen Baronin Carla Jenssen. Oben: Das Narkotikum wird auf die Lippen gestrichen. Unten: Die Wirkung des Kusses.
Sollte das wirklich funktionieren? Ist nicht der Großteil der Spioninnen nach dem verführerischen Über-die-Lippen-Lecken selbst eingeschlafen?
oder hier:
Belgische Spionin, welche in Gent in der Verkleidung eines Stubenmädchens arbeitete und mit unsichtbarer Schrift auf ihren Körper geschriebene Nachrichten übernahm.
Ging das nicht einfacher?
Es werden „geschmuggelte Nachrichten hinter dem Glasauge eines einäugigen Spions“ und „eine Puderquaste eines Barmädchens aus Lille, in welcher diese auf dünnstes Papier geschriebene Nachrichten verwahrte“ vorgestellt.
Wenn es schiefging, wurde die Schöne – wie hier die als Spionin „H 21“ geführte Mata Hari – verhaftet, in eine Zelle geworfen und schließlich hingerichtet.
Aber es gab auch andere Wege der Agententätigkeit. In alter Zeit vergiftete man die Brunnen, effektiv war aber auch die gezielte Ansteckung des Feindes mit eingeschleppten Krankheiten. Aber nicht mit uns:
Schutzmaßnahmen gegen die planmäßige Verseuchung des deutschen Heeres: Abtransport kranker Frauen
Schließlich möchte ich den Kreis der Spionage mit einem Artikel über Mata Hari schließen. Der ist auf jeden Fall cooler, als der in Wikipedia (wenn vielleicht auch nicht so vollendet recherchiert, aber wen kümmern schon trockene Fakten, wenn man eine spannende Agenten-Geschichte bekommen kann?)
Tot ist sie. So, wie unverhältnismäßig viele Spione. Das Buch wartet auch mit einer Unmenge von Hinrichtungs-Fotos auf. Abgeschlagene Köpfe, aufgespießte oder an auf den Rücken gedrehten Armen aufgehängte Übeltäter sind nur die Spitze(l) des Eisbergs.
Ein Riesenbuch, das man immer mal wieder in einem Antiquariat findet. Wer es sich nicht selbst kaufen will, kann mich ja besuchen kommen und es sich anschauen. Allerdings bezweifele ich, daß derjenige bis zum Buch vordringt, weil er/sie schon auf dem Weg dorthin an anderen Ah’s und Oh’s stecken bleibt.
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