Wieder habe ich etwas gefunden, von dem ich glaube, dass die Wenigsten unter euch davon schon einmal gehört haben: eine Schachtel Streichholzkerzen.
Diese nette, junge Dame, die mit hoher Wahrscheinlichkeit inzwischen längst tot ist, lacht uns von der Oberseite der Schachtel entgegen.
Zieht man an der kleinen Lasche unten, kommt der geheimnisvolle Inhalt der alten Schachtel zum Vorschein:
20 nagelneue und zwei bereits angezündete Streichholz-Kerzen und damit ist die 24-Stück-Packung nahezu fabrikneu.
Die Seiten verraten uns einige Details:
Gefertigt in Belgien für die Pariser Firma Roche & Cie. in der Rue Caumartin 7. Entgegen anderer Vermutungen, glaube ich nicht, dass die Schachtel von 1900 stammt. Lediglich das Design wurde auf einer der Ausstellungen, die ich euch hier und hier schon einmal vorgestellt hatte, prämiert. Der Mode dieser Dame und ihrer Freundinnen auf anderen Schachteln nach, wird sie eher in die 1910-er Jahre einzuordnen sein.
Aber, was mache ich mit diesen Streichholzkerzen eigentlich? Einen Hinweis bekommen wir auf der anderen Seite der Schachtel. Nachdem wir eine Streichholzkerze entnommen haben und die Schachtel umdrehen, lächelt uns dieses lasziv hingestreckte viel zu junge Mädchen lieblich entgegen:
Zu ihren Füßen entdecken wir ein metallgefasstes Loch und an der Stirnseite eine Reibefläche, wie wir sie von herkömmlichen Streichholzschachteln kennen.
Et voilá:
Für alle hyperventilierenden Sammler sei erwähnt, dass ich eine der beiden bereits früher angezündeten Kerzchen benutzt und sie mit einem Feuerzeug angezündet habe. Bei der Fotosession ist keine Reibefläche und kein Schwefelkopf zu Schaden gekommen.
Abschließend bleibt die Frage offen: Wozu diente uns diese kleine Kerze, deren Brenndauer ca. 7 bis 10 Minuten beträgt? Die einfachste Antwort, die mir einfiel war: um nachts auf die Toilette zu gehen. Sofern man in Mietshäusern dieser Zeit wohnte, war das Klo oft eine halbe Treppe tiefer. Kerze an, Treppe runter, Pipi machen, Treppe hoch – wenn man nicht bummelte, war das zu schaffen.
Inzwischen habe ich herausgefunden, dass diese Streichholzkerzen (auf englisch Match Candles oder Candle Matches) für etwas ganz anderes benutzt wurden: In Bordellen wurde zu Beginn des gewünschten Dienstes eine Kerze angezündet. Schaffte man(n) es, bevor die Kerze verlosch, war alles gut. Musste ein zweites Licht entzündet werden, kostete das extra. Das erklärt dann auch die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Fotos auf den Schachteln, von denen die junge Dame auf der Rückseite meiner Schachtel bei weitem nicht die Jüngste zu sein scheint.
Im Internet findet man gelegentlich eine Schachtel im Angebot. Preise von 50 Euro für eine viel benutztere Schachtel sind hier keine Seltenheit.
was du alles ausbuddelst in deinen Schätzen ! unglaublich! 😁
Danke dafür … ich finds sehr interessant. Davon hat man auch noch nie was gehört was es so alles gab damals…. ☀️
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Coole Sache! 🙂
Und da schaut man mitleidig auf unsere Altvorderen herab, weil – „die hatten ja nix!“ Pfffhhh… 😀
Liebe Grüße,
Werner
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Die hatten noch Ideen und haben nachgedacht. Heute wollen alle bloß noch vorgedachte Dinge haben.
„Die Jugend von heute ist nicht mehr, was sie früher war.“ (Sokrates)
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