Als ich noch Kind war, galt der Shiguli als das hochwertigste Auto, das sich der Überdurchschnittsbürger in der DDR leisten konnte. Wobei „leisten können“ die eine Sache war. Viel verzwickter war es, überhaupt erst einmal an ein Auto zu kommen.
So, wie es heute bei konfigurierten Autos eines gerade neu erschienenen Modells passieren kann, dass man einige Monate bis zur Auslieferung warten muss, war es damals in der DDR für jedes Auto üblich. Allerdings wartete man nicht Monate, sondern Jahre, bis man bei der Zuteilung an die Reihe kam.
Am 27. Februar 1984 war es so weit. Man hielt das Kundendienstbuch des Kraftwagens in der Hand. In diesem Fall war es ein Auto der sowjetischen Firma BA3 (sprich WAS).
Der Garantieschein wurde ausgefüllt
und der neue Wagen wurde unter großer Anteilnahme der Nachbarschaft nach Hause gefahren, so vor der Tür geparkt, dass ein uneingeschränkter Blick vom Wohnzimmerfenster gewährleistet war
und nur dann bewegt, wenn es tatsächlich nötig war.
Meine Tante hatte dieses Fahrzeug zuerst in weiß, dann in gelb.
Wenn sie einen guten Parkplatz vor der Tür ergattert hatte (nicht, dass es in der DDR Parkplatzmangel gegeben hätte), ist sie durchaus mal mehrere Wochen lang nicht weggefahren.
So sah er aus:
Damals war das mitgelieferte Handbuch noch verhältnismäßig dünn.
Laut Wikipedia wurden bei diesem Fiat 124-Derivat über 800 Änderungen vorgenommen, damit der Wagen auf den Straßen des Sowjetreiches fahren konnte. Unter anderem wurde er serienmäßig wegen der Schlaglöcher um 30 mm höhergelegt.
Zur Beachtung:
Dieser Aufkleber wurde von innen an die Windschutzscheibe geklebt. Die neue StVO wurde 1977 festgelegt und 1979 verbindlich eingeführt. seht hier
Durch die neue Straßenverkehrsordnung wurden die Verkehrszeichen an die aktualisierten Versionen anderer Länder angeglichen. Wer meinen alten Verkehrserziehungsartikel anschaut, sieht einige Verkehrszeichen, die nun verschwunden waren. Das runde Stop-Schild, die pfeilförmige Einbahnstraße oder die auf der letzten Seite gezeigte schwarz-gelbe Säule des Fußgängerschutzweges.
Für die Technikfans ein paar Daten:
Unter Nummer 4 und 5 erkennt ihr die Hebel für den Blinker und die Scheinwerfer. Die lagen so dicht beieinander, dass man durchaus einmal das Licht mit dem Blinker gemeinsam eingeschaltet hat. So entstand der Ruf des draufgängerischen Fahrers.
Es gab auf dem Armaturenbrett nicht nur einen Aschenbecher, sondern auch eine Zigarettenauslöschplatte, auf der die Kippe ausgedrückt werden konnte. Toll.
Nr. 17 – Pedal für die Pumpe der Scheibenwaschanlage
Nr. 23 – Zuggriff für die Vergaser-Luftklappe – ich glaube, das nannte man auch Choque oder Schock, der bei Fahrtbeginn gezogen werden musste, bis der Motor warm war. Vergaß man, ihn wieder einzuschieben, qualmte das Auto. Was genau seine Funktion war (außer zu qualmen), ist mir unbekannt.
Die Fenster wurden noch gekurbelt und – was mir besonders gefiel – es gab in den Vordertüren dreieckige Schwenkfenster. Da kam ein wenig frische Luft herein, ohne dass es laute Geräusche gab.
Die hinteren Fahrgäste hatten ihre eigenen Aschenbecher, wenn auch nicht so eine tolle Ausdrückplatte. Die war im Aschenbecher integriert.
Dieses Auto hatte sogar noch eine Kurbel, und hier ist erklärt, wie sie funktioniert:
Und man konnte Sicherheitsgurte nachkaufen und anbauen. Allerdings keine Rollgurte, sondern solche wie man sie aus dem Flugzeug kennt.
Musste der Fahrer solche Arbeiten selbst durchführen?
Und nun staunt, was damals alles mit dem Auto mitgeliefert wurde:
Und nun für alle, die es bis jetzt nicht herausgefunden haben, die Auflösung, wie der moderne, für den außer-russischen Markt verwendete Name des Autos lautet:
Der gute alte LADA mit all seinen kleinen Raffinessen und jeder Menge Tipps für einen sorgenfreien Fahrbetrieb.
Hier ein paar Beispiele:
Selbst ein Rückfahrscheinwerfer gehörte damals noch nicht zur Serienausstattung, von Nebelleuchten ganz zu schweigen.
Woher der Name Shiguli oder Schiguli stammt, konnte ich nicht herausfinden. Es gibt einen gleichnamigen Ort in der Nähe von Kaliningrad. Als das noch Königsberg hieß, trug Shiguli noch den deutschen Namen Roekelheim und später Reckeln. Gut, dass das Auto nicht danach benannt wurde.
Lada hingegen ist eine slawische Gottheit – die Geliebte. Und genau so wurde der teure Wagen seinerzeit auch behandelt. Vielleicht sogar mit noch mehr Hingabe. Definitiv kosteten beide nicht wenig in Anschaffung und Unterhalt.
gefühlt der Beitrag mit den meisten Fotos seit langem und kein einziges davon gesperrt.
Jubelt Bürger!
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