Vor einer Woche habe ich euch zwei militärische Tagesberichte der Schlachten im Ersten Weltkrieg vorgestellt. Wer sie verpasst hat, klickt hier. Sie stammten vom Ende des Ersten Weltkrieges, aus dem Jahr 1918. Aber wie hat alles begonnen?
Der Oberbefehlshaber in den Marken Gustav von Kessel informierte am 4. August 1914 die Bevölkerung der Marken, also der Mark Brandenburg, dass „Seine Majestät der Kaiser […] das Reichsgebiet in Kriegszustand erlärt“ hat. (Ich hätte gedacht, dass man ein Reich in den Kriegszustand versetzt.)
Wie in der Bekanntmachung erklärt wird, dienen diese Maßregeln allein der zügigen Mobilmachung der kaiserlichen Armee. Er erklärt weiter: „Die Vaterlandsliebe, die die Bürgerschaft Berlins und die Märker von jeher ausgezeichnet hat und die patriotische Begeisterung, die sich in diesen ernsten Tagen gezeigt hat, geben die sichere Gewähr, daß niemand in den schweren Zeiten, denen wir entgegengehen, es an vaterländischer Gesinnung wird fehlen lassen.“
Und: „Wenn durch die Erklärung des Kriegszustandes die Gesetze verschärft werden, so wird dadurch doch niemand, der das Gesetz beachtet und den Anordnungen der Behörden Folge leistet, in seinem Tun und Wirken beschränkt.“
Wenige Tage später folgte eine Ergänzung:
Es wurde bestimmt: „Alle öffentlichen Versammlungen bedürfen der Genehmigung, die wenigstens 48 Stunden vor Beginn der Versammlung bei der Polizeibehörde nachzusuchen ist.“ Das lässt vermuten, dass bisher Versammlungen nicht angemeldet werden mussten.
Es folgen deutlichere Worte:
Ich verbiete hiermit Veröffentlichungen und Mitteilungen militärischer Angelegenheiten. […] Wer dieses Verbot übertritt oder zu solcher Übertretung auffordert oder anreizt, soll, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden.
Zur selben Zeit in Wehlau, einem Dorf in der Gemeinde Königsberg:
„Die Personen, die mit diesem Stempel versehene weiße Armbinden tragen, haben Polizeibefugnis. Wer sich ihren Anordnungen widersetzt, macht sich des Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig und wird dementsprechend bestraft.“
„In der Nachtzeit von 7 Uhr abends bis 5 Uhr morgens darf sich kein Zivilist in den Straßen der Stadt aufhalten. Zuwiderhandelnde werden bestraft und setzen sich außerdem der Gefahr aus, daß sie auf der Stelle erschossen werden.“
Der Bürgermeister Richard Scheffler teilt sich übrigens den Familiennamen mit der Druckerei, die nicht nur dieses Plakat, sondern auch die weißen Armbinden bedruckt hat.
Wir wandern noch ein wenig weiter in den Osten Ostpreußens. Südlich von Tilsit und östlich von Königsberg liegt die Stadt Insterburg.
Hier verfügt der Gouverneur Dr. Bierfreund über die Erlaubnis Bekanntmachungen bekannt zu machen. Und das tut er. Zum Beispiel am 28. August 1914 verfügt er „Weitere Maßnahmen zur Milderung der Kriegsnot, insbesondere auch für die Angehörigen unserer Truppen.“
1 „Die unentgeltliche Verabfolgung von Fleisch auf dem Schlachthofe findet in der bisherigen Weise täglich statt, wenn die Bürgerschaft meine an Ort und Stelle mehrfach mündlich ausgesprochenen Befehle und Anordnungen, deren strengste Durchführung ich den betreffenden Bürgerwehrmitgliedern nochmals zur strengsten Pflicht mache, fortsetzt und genau befolgt. Ich erwarte, daß das empfangene Fleisch an Nachbarinnen abgegeben wird und so auch tatsächlich an demselben Tage verbraucht wird, denn die Abfertigung geschieht umso schneller, wenn sich mehrere Frauen zusammen tun, das von einer Person herbeigeholte Fleisch unter sich zu verteilen.“
„Um jedoch auch der wohlhabenden Bevölkerung eine absolut sichere Bezugsquelle für Fleisch zu sichern, habe ich in dem Laurinatschen Laden am Alten Markt eine Verkaufsstelle für Fleisch (eventl. Wurst- und Räucherwaren) eingerichtet, deren Erlös in erster Linie dazu bestimmt ist, die mit der unentgeltlichen Verabfolgung des Fleisches an Unbemittelte verbundenen Unkosten zu decken. Es werden deshalb an dieser Verkaufsstelle keine festen Preise erhoben.
2 Die Beschaffung von Kartoffeln habe ich in der Weise durchgeführt, dass auf einem zum Gutsbezirk Pieragienen gehörigen Kartoffelfeld von Sonnabend, den 29. August cr. (weiß jemand, was das bedeutet?) ab, alle erwachsenen weiblichen Personen mit ihren Kindern vom 10. Lebensjahre ab, jedoch nur aus der Stadt Insterburg, die Erlaubnis erhalten, sich täglich eine Menge von etwa 5 Litern auszugraben und mitzunehmen.“
„Ich habe festgestellt dass in allen Engrosbetrieben des Nahrungsmittelgewerbes (Mühlen etc.) so reichliche Vorräte vorhanden sind, daß jeder in Betracht kommende Handwerksmeister seinen Bedarf auch weiterhin käuflich decken kann.“ Hier wurde offenbar Hamsterkäufen vorgesorgt.
Weniger Text hat die nächste Bekanntmachung von Dr. Bierfreund zu bieten:
„Da noch immer einzelne Fälle von Trunkenheit russischer Soldaten von mir bemerkt worden sind, sichere ich demjenigen eine angemessene Belohnung zu, welcher mir einen Verkäufer alkoholischer Getränke (Schnaps, Likör, Wein usw.) zur Anzeige bringt.
Insterburg, den 3. September 1914
Münzgeldprobleme traten auf und eine weitere Bekanntmachung – ebenfalls vom 3. September 1914 – wurde an die Häuserwände geklebt:
Münzgeld, sofern irgendwie entbehrlich ist von allen Kaufleuten, Fabrikanten und Handwerkern in Geldscheine umzuwechseln. Es wurde zur Bezahlung der städtischen Armen und Angehörigen der Kriegsteilnehmer benötigt.
Weiterhin wurde die Bevölkerung gebeten, Bargeld auf Banken gegen die Ausstellung von Schuldscheinen einzuzahlen und damit der Gemeinde und nicht zuletzt dem Deutschen Reich zu leihen. Ein Vordruck für den Schuldschein hängt sogar schon unten am Plakat an.
Bäckermeister Lutat und Kaufmann Bendig wurde jüngst mit 3000 Mk. Geldbuße bestraft.
Zu guter Letzt wird der armen Bevölkerung geraten, „bei ihren Einkäufen auch solche Nahrungsmittel zu wählen und sorgfältig aufzubewahren, welche unter normalen Verhältnissen erfahrungsgemäß einen wenig geschätzten Wert haben, z.B. Nüsse, Schokolade, alle Arten Konserven, während sie bei der in kurzer Zeit sicher zu erwartenden Hungersnot bei ihrem sehr hohen Nährwert einen sehr wichtigen Ersatz für die gewöhnlichen Nahrungsmittel geben werden.“
Das letzte Plakat aus Insterburg datiert auf den 8. September 1914 und ist mein Favorit:
„Es ist heute vormittag bemerkt worden, daß während des Kreuzens eines Aeroplanes (deutsch ausgesprochen: A-ero-Plahn) über unsere Stadt sich zahlreiche Personen auf den Dächern aufgehalten und mit Ferngläsern nach demselben ausgeschaut, ihm auch Zeichen und Winke gegeben haben, als aus dem Aeroplan etwas heruntergeworfen wurde.
Da das Verhalten dieser Personen leicht dahin gedeutet werden kann, daß die Bevölkerung sich auf diese Weise mit dem Aeroplan und durch diesen mit der Außenwelt in Verbindung setzen will, habe ich den strengsten Befehl erhalten, das Besteigen der Dächer und Türme unbedingt zu verbieten.
Ich verbiete sämtlichen Bewohnern des Stadt– und Landbezirks aufs strengste, ihre Pferde und Wagen fortzuschaffen oder anderweitig zu verborgen resp.(ektive) zu verschenken.“
Vermutlich haben viele Einwohner ihre Pferde und Wagen – oft der einzige Reichtum – verkaufen wollen, bevor sie vom Militär (ersatzlos) requiriert wurden.
Die genannten Aeroplane kann man sich als Ein- und Doppeldecker vorstellen.
Zurück nach Berlin.
„Deutschland steht gegen eine Welt von Feinden, die es vernichten wollen. Es wird Ihnen nicht gelingen, unsere herrlichen Truppen niederzuringen, aber sie wollen uns wie eine belagerte Festung aushungern.„
So schrieb es der Magistrat der Königlichen Haupt- und Residenzstadt (zu eurer Info: Berlin ist gemeint) bereits am 22. Dezember 1914, gerade einmal viereinhalb Monate nach Kriegsbeginn.
„Auch das wird ihnen nicht glücken, denn wir haben genug Brotkorn im Lande, um unsere Bevölkerung bis zur nächsten Ernte zu ernähren. Nur darf nicht vergeudet und die Brotfrucht nicht an das Vieh verfüttert werden.
Haltet darum haus mit dem Brot, damit die Hoffnungen unserer Feinde zu Schanden werden.
Seid ehrerbietig gegen das tägliche Brot, dann werdet ihr es immer haben, mag der Krieg noch so lange dauern. Erzieht dazu auch eure Kinder.
Verachtet kein Stück Brot, weil es nicht mehr frisch ist. Schneidet kein Stück Brot mehr ab, als ihr essen wollt. Denkt immer an unsere Soldaten im Felde, die oft auf vorgeschobenen Posten glücklich wären, wenn sie das Brot hätten, daß ihr verschwendet.
Eßt Kriegsbrot; es ist durch Buchstaben K kenntlich. Es sättigt und nährt ebenso gut wie anderes. Wenn alle es essen, brauchen wir nicht in Sorge zu sein, ob wir immer Brot haben werden.
Wer die Kartoffel erst schält und dann kocht vergeudet viel. Kocht darum die Kartoffeln in der Schale. Ihr spart dadurch.
Abfälle von Kartoffeln, Fleisch, Gemüse, die Ihr nicht verwerten könnt, werft nicht fort, sondern sammelt sie als Futter für das Vieh, sie werden gern von den Landwirten geholt werden.
Die Befolgung dieser Mahnungen wird der Bevölkerung dringend ans Herz gelegt.
Und zum Schluß eine Ankündigung einer Schweinezählung am 15. April 1915 in Berlin-Schöneberg:
Auch über diese alten Original freue ich mich sehr. Zeigen sie doch, dass es immer wieder Zeiten gab und gibt, in denen die Regierungen die Rechte der Bevölkerung beschneidet, um dem großen Ganzen zu dienen. Da kann auf die Begehrlichkeiten eines einzelnen Untertanen keine Rücksicht genommen werden – damals wie heute.
Da früher Litfaßsäulen noch für die Verbreitung wichtiger Informationen genutzt wurden, kann man sich eine solche in etwa so vorstellen:

„cr“ dürfte die Abkürzung für das lateinische „currentis“ = laufenden (z.B. Monat) sein.
Der Zusatz macht hier juristisch Sinn, weil ja keine Jahresangabe geschrieben steht.
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Ah, danke!
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