Ich versuche mir ja sonst stets Überschriften für meine Artikel zu finden, die ein bißchen lustig sind. Heute, glaube ich, kann ich mir das sparen.
Der Titel des Liederbuches, das ich euch vorstellen möchte, ist in meinen Augen pure Komik.
Dürfen aus diesem Buch nur Staatsbahn-Mitarbeiter singen? Und da aber auch nicht alle? Nur die Numerare? Doch halt, nicht jeder Numerar. Jeder, der nicht mindestens Supernumerar ist, kuckt schön in sein eigenes Liederbuch. Und von all den Supernumeraren hier im Festsaal, gehen diejenigen bitte in die stille Ecke, die nicht Civil-Supernumerare sind.
Ja, damals wurde noch sortiert!
Daß am Ende jedoch nicht nur ein einsam singender Solist übrig war, kann man an der folgenden Seite sehen. Alle Sängerfreunde oder -brüder haben sich verewigt.
Die Lieder dürften den Studenten unter den Staatsbahn-CIvil-Supernumeraren noch bekannt gewesen sein. Viele aus dem früher schon vorgestellten Kommersbuch sind auch hier enthalten.
Zwei wunderschöne Beispiele habe ich euch rausgesucht. Auf Seite 48 „Der Bierlala“ – ein Lied, das nach einigen Krügen Bier und möglichst laut gegrölt sicher erst so richtig sein volles Potential der Gruppenerheiterung entwickelt. Der zweite Vers „Von all‘ seines Vaters sein Gut.“ könnte bei Freunden der deutschen Sprache Augenschmerzen hervorrufen. Im Kommersbuch lautet diese Zeile übrigens „Von all seines Vaters sein’m Gut.“ Das sieht richtiger aus, singt sich dafür aber noch mieser.
Da loben wir uns Lied N° 47 – „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“. Hier stimmen Versmaß und Patriotismusanteil.
Für alle, die neugierig geworden sind, wie das Lied wohl weitergehen mag:
Und als Bonus für die standhaften Trinker unter euch noch das Lied vom Kater. (Mit der Melodie von „1. Der Papst lebt herrlich in der Welt, es fehlt ihm nie an Ablaßgeld. Er trinkt vom allerbesten Wein,; drum möcht ich auch der Papst wohl sein. 2. Doch nein, er ist ein armer Wicht, ein holdes Mädchen küsst ihn nicht. Er schläft in seinem Bett allein; ich möchte doch der Papst nicht sein. 3. Der Sultan lebt in Saus und Braus, er wohnt in einem großen Haus voll wunderschöner Mägdelein; drum möcht ich wohl der Sultan sein. 4. Doch nein, er ist ein armer Mann, denn folgt er seinem Alkoran, so trinkt er keinen Tropfen Wein; ich möchte doch nicht Sultan sein. 5. Geteilt verachte ich beider Glück und kehr in meinen Stand zurück, doch das geh ich mit Freuden ein: bald Papst, bald Sultan möcht ich sein. 6. Drum, Mädchen, gieb mir einen Kuß, denn jetzt bin ich der Sultanus. Ihr trauten Brüder, schenket ein, damit ich auch der Papst kann sein.“)
Irgendetwas habe ich noch vergessen. Ach ja: Wer waren denn nun die Staatsbahn-Civil-Supernumerare?
Der Duden verrät uns: Supernumerar Worttrennung: Su|per|nu|me|rar Verwandte Form: Supernumerarius; Beamtenanwärter; über die gewöhnliche [Beamten]zahl Angestellter lateinisch; »Überzähliger«
Aha.
Zwei alte Wörterbücher können schließlich Licht ins Dunkel bringen:
Laut des Grimm’schen Wörterbuches ist ein Supernumerar:
In der öffentlichen Verwaltung Bezeichnung für einen Beamtenanwärter, der gegenüber den etatsmäszigen Planstellen überzählig ist; ‚ein solcher Soldat, ein solcher Angestellter, der über die gewöhnliche Zahl der Beamten bei einer Stelle angesetzt ist‚
Und aus dem Krünitz:
Supernumerarius, bei einem Kollegium, ein Ueberzähliger, welcher gleichsam als Hülfsarbeiter beschäftiget ist oder fungirt, und erst irgendwo einrangirt werden soll. Er genießt Diäten, so lange er als Hülfsarbeiter beschäftiget ist. Man findet dergleichen Arbeiter hauptsächlich in den Kanzleyen, Registraturen, Kalkulaturen und bei den Kassen. Es sind Individuen, die eine Anwartschaft auf einen Staatsposten haben, denen aber eine wirkliche Anstellung wegen der Vollzahl der etatsmäßigen Staatsdiener noch nicht werden konnte, um sie jedoch zu beschäftigen, werden sie in den genannten Fächern vorläufig mit Diäten angestellt, jedoch auf unbestimmte Zeit, und nach Maaßgabe der Geschäfte, da Viele von ihnen Wartegeld genießen, also einigermaßen wegen ihres Unterhalts gesichert sind.
Und wenn man das so liest, dann ist einem doch gut singen, oder?
Der Herr, zu dem dieses Buch einst gehörte, hat noch mehr hinterlassen. Ich verrate es euch hier, um euch etwas neugierig zu machen. Auf dem Dachboden meiner Tante habe ich vor Jahren eine kleine, alte Holzkiste gefunden. (so fangen spannende Geschichten an!) Als ich den Deckel aufschob, sah es ungefähr so aus. (denkt euch meine zwei Zettel weg und dafür das Liederbuch obenauf)

Rudolf „Rudel“ Schultz war sein Name, er war Bahnbeamter (vorher Staatsbahn-Civil-Supernumerar!) und die Briefe, die hier wohlsortiert ruhen, sind von seiner Geliebten. Der erste stammt aus der Woche nach ihrem ersten Zusammentreffen, der letzte enthält die Erinnerung, sie doch am kommenden Sonntag nicht bei der Hochzeit allein sitzen zu lassen und um ganz sicher zu gehen, hat sie ihm die Einladungskarte beigelegt, die an alle Gäste geschickt wurde. Und dazwischen kommen so um die 100 Briefe, teils verliebt, teils praktisch und immer hochinteressant und aufschlußreich über das Leben zwischen 1892 und 1895.
Meine beiden Zettel zeigen euch, bis zu welchem Brief ich mit der Transkription (Abschrift) gekommen bin, der Zettel recht daneben zeigt, wie weit ich die Briefe gescannt habe. Schlechte Nachricht: ich habe von links begonnen. Gute Nachricht: mein neuer Laptop hat eine grandiose Sprach-Erkennung, der Winter steht vor der Tür und ich bin wieder Single. (naja, letzteres ist eine mäßig gute, aber dieser Aufgabe zuträgliche Nachricht)
Wenn Du uns einen gescannten Brief der re. Ecke zeigst, hat Dich kein Mensch abgelenkt, ist aber irgendwie auch traurig. 😉
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@eridanus11: Wie meinen?
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Dann bist du immer noch Single u. das finde ich traurig.Herzliche Grüße aus Vorpommern. 🍷🍷
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na ja, es geht schon wieder. 😉
Mehr Zeit für Dinge, die man vernachlässigt hat und für Freunde. Aber trotzdem danke für die netten Worte.
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