Der versprochene Weg zum Endsieg war auch für meine Familie lang und steinig. Wohin er geführt hat, ist bekannt. Ende: ja, Sieg: nein (schon wieder). Ob die flächendeckende Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten tatsächlich nötig war, wurde an anderer Stelle ausgiebig diskutiert. Es gibt sicher ebenso viele befürwortende Argumente (z.B. Senkung der Unterstützungsbereitschaft und Kampfmoral) wie ablehnende (z.B. Tod unbeteiligter Zivilisten). Die Reichsführung hatte damals verboten, die Städte aufgrund der Bombardierungen zu verlassen („Durchhalten bis zum letzten Atemzug!“) und aufs Land zu flüchten. Gehen konnte nur, wer kein Dach mehr über dem Kopf hatte oder als kinderreiche Familie im Stadtzentrum lebte. In unserem Fall traf das zweite zu. Ein Antrag auf besuchsweisen Umzug zu Verwandten in Arnstadt – einer Kleinstadt, 30 km von Erfurt entfernt, wurde gestellt. Zuerst musste sich in Erfurt abgemeldet werden (28.1.1944).
- Behördlich angeordnete Wohnsitzverlegung
- Beruf: Ehefrau (meine Oma)
- … sind für die Wohnsitzverlegung vorsorglich – aus Luftschutzgründen außerhalb Erfurts vorgesehen. – Gegen die Abreise bestehen keine Bedenken.
- (seitlich:) Gegen die Abwanderung bestehen keine arbeitseinsatzmäßigen Bedenken. Erfurt, den 26.Jan. 1944 Arbeitsamt Erfurt
Die Lebensmittelkarten wurden hier abgemeldet und dort wieder beantragt. In Arnstadt angekommen, musste die Anmeldung im Einwohnermeldeamt erfolgen. Das sah am 25. Februar 1944 so aus:
- Spalte 12: Warum wurde hergezogen? Evakuierung
- der violette Stempel: Nationalsoz. Deutsche Arbeiterpartei * Gau Thüringen * Ogru. Arnstadt (unleserlich) * Nur für Volkswohlfahrt
- schwarzer Stempel in Spalte 7/8: Der Oberbürgermeister Ernährungsamt Arnstadt – die Lebensmittelmarken mussten zukünftig hier bezogen werden.
Siel lebten ungefähr ein Jahr lang in Arnstadt.
Nachdem die Bombardierung Erfurts Anfang April 1945 aufgehört hat, sind die Ehefrau und ihre Mutter ohne Erlaubnis zu Fuß (Verkehrsmittel fuhren nicht mehr) von Arnstadt nach Erfurt gewandert um sich nach dem Zustand ihres Wohnhauses zu erkundigen. Anschließend wurde zurückgelaufen und beschlossen, wieder nach Erfurt zu ziehen. Kurze Zeit später, am 12.4.1945 wurde dann das Haus in der die Ehefrau nebst der drei Kinder lebte, Opfer einer Fliegerbombe. Update: Ich habe einige Fotos der Wohnung gefunden, von der hier die Rede ist. Erfurt – Futterstraße 7. Klickt hier. Glücklicherweise waren sie während des Ereignisses im Keller des elterlichen Hauses, das verschont geblieben ist. Trotzdem fing der richtige Ärger erst an, nachdem sie zurückkehrten und alles weg war. Die Ehefrau, meine Oma, musste nach dem Tod ihres Mannes auf dem „Feld der Ehre“ in der Ukraine für das eigene (Über-)Leben und das ihrer drei Kinder, darunter meine Mutter, das jüngste Kind (geboren 1941) sorgen. Wieder wurde abgereist:
- Ausweis für Fliegergeschädigte
- Beruf: Witwe
- wegen Fliegerschadens
- Totalschaden 12.4.45
Schließlich wurde Ende Mai von den Verwandten in Arnstadt zu den Eltern in Erfurt gezogen:
- Abmeldung in Arnstadt
- Arnstadt, den 29.5.1945
Und schließlich der Passierschein der US Army (Thüringen befand sich in der amerikanischen Besatzungszone und wurde erst im Tausch gegen ein Stück Berlin an die Russen abgetreten):
- 29. Mai 1945
- Frau ….. und 3 (three)
BegleiterKinder … and three Childrenpersons - Erlaubnis zum Besuch von Erfurt, Rückkehr zum Wohnort
- This pass expires 2. Juni 1945
Ja, so war das damals. Und die Tatsache, daß ich diese Geschichte noch weiß, nach mir aber vielleicht niemand mehr, hatte mich bewogen, diesen Blog zu beginnen.
Updates:
Ein Update zu diesem Artikel findet ihr hier.
Zwei Briefe des Ehemanns gibt es hier.
Die vorangegangenen Briefe mit den Gedanken über eine bevorstehende Evakuierung lest ihr hier.
Extrem interessant. Was es alles gab … Da haben die Menschen echt was mitgemacht. Meine Mama erinnert sich nicht mehr ganz so gut an Details aus der Zeit, mein Papa ist leider verstorben. Schön, dass ich so einige Dinge über Dein Blog erfahre. Toll!
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